Vorwort
Die
Prinzipien der Harmonie und des Eros bestimmen das Lebenswerk des Bildhauers
Jakob Wedel: in betontem Gegensatz zu allen Tendenzen des Destruktiven und einer
in die totale Hoffnungslosigkeit mündenden Endzeitstimmung. Beiträge
zur Anti-Kunst und Ersatz-Kunst unserer Tage sind von Jakob Wedel nicht zu erwarten.
Hauptsächlich drei Gruppierungen ergeben sich im Rückblick auf mehr als drei Jahrzehnte seiner Arbeit: erzählerische, teils humoristische Schilderungen von Legenden, Mythen und Begebenheiten aus dem kirgisischen Lebensraum Mittelasiens dem der Künstler entstammt; ornamentale Stilisierungen kurvig harmonikalen, oft ineinander verschlungenen Charakters zu erklärten Symbolformen und Einzeldarstellungen des menschlichen Körpers in vorwiegend weiblicher, jugendlicher Schönheit. Dazu kamen in neuerer Zeit die ortsgebundenen Auftragswerke zweier lebensgroßer Bronzen: der "Bademagt" an einer alten, historischen Steinwanne im Kurgebiet von Bad Meinberg, neben der Rose-Klinik und der in der Region denkwürdigen "Naturschützerin". So werden im lippischen Gebiet, das dem Künstler 1988 eine neue Heimat bot, traditionelle Zusammenhänge und Qualitätsansprüche auf dauerhafte Weise fortgeführt und bestätigt. Vorausgegangen war 1993 die Bronzestatuette der solchermaßen porträthaft verewigten Schwalenberger Nachtwächters Willi Planke, die ihren Ehrenplatz im dortigen Rathaus erhielt.
Als
Stipendiat des Schwalenberger Kunsthaus wurde Jakob Wedel innig vertraut mir
der Geschichte und Gegenwart dieser bereits Anfang des 13. Jahrhunderts urkundlich
genannten früheren Ackerbürgerstadt am Hang Des Burgberges. Das malerische
Gesamtbild der gewundenen, steil geführten Straßen mit ihren alten
Fachwerkbauten und den dunkel violetten Sandsteinplatten Ihrer Dächer zog
auch Wedel in seinen zauberischen Bahn. Geborgen kann er sich fühlen unter
den von ihm als stets freundlich und hilfsbereit erlebten Menschen dieses Ortes,
in welchem er sein Atelier hat. In der Lust an der Verzierung der Hölzer
des 1579 errichteten, 1603 und 1908 erweiterten Rathauses mit seinen Flachornamenten
und Ranken, in der Fülle der Fächermuster der Brüstungsfelder
und in den Spruchweisheiten der Schwellhölzer im ältesten Teil konnte
der in Kirgisien, in St. Petersburg und Moskau geschulte Künstler sich
bestätigt und angeregt sehen. Der abends in den Schwalenberger Straßen
seine bekannten Rufe mit dem Blashorn begleitende Nachtwächter wurde für
Jakob Wedel zum Symbol für Ruhe, Frieden und Geborgenheit, zu einer Inspirationsquelle
für viele weitere Werke.
In Detmold erlebt der Künstler die charakteristischen Reize einer ehemals fürstlichen Residenz: mit einem auf beträchtliche Weise institutionalisierten Bildungswesen, mit Wissenschaften und Künsten im Zentrum dieser vom Stil der Weserrenaissance und des Klassizismus auf repräsentative Weise bestimmten Hauptstadt eines Regierungsbezirks, welche sich industriell auszuweiten vermochte. Die spätgotische Hallenkirche am Markt, das auf seinen hohen, runden, mittelalterlichen Eckturm bezogene Schloss, das Neue Palais mit seinem Lippischen Landesmuseum und die ornamental verzierten Fachwerkbauten alter Wohnstraßen bieten Fixpunkte des vertrauenden Bewustseins.
Seine Botschaften von der Würde des Schönen, von Menschlichkeit und Grazie Formt Jakob Wedel in vorwiegend edlen, oft seltenen und gut abgelagerten, meist harten und dichten Hölzern, die ihm eine äußerste Feinheit der gravierenden und glättenden Gestaltung abverlangen. Für die "Amazone auf dem Pferd" nahm er ein Stück Eiche, das vor Jahrhunderten für den Bau des Schwalenberger Rathauses verwendet und bei einer Restaurierung ausgewechselt wurde. Ebenfalls in Schwalenberg entdeckte er für seinen als erotische Phantasie beflügelten "Frauenschuh"und für eine pflanzlich organische Variante das Material des Essigbaums, des sogenannten Hirschkolbensumach, welcher einst zu Zwecken des Gerbens und Färbens bei uns eingeführt wurde und heute als Ziergewächs dient. Vorzugsweise nutzt Wedel Kirschbaum- und Walnußholz, auch mal das aus dem tropischen Westafrika stammende Limbaholz. In Kirgisien gab es für ihn ein reiches Reservoir an Walnußbäumen, dazu Akazienarten, Mahagoni und Palisander. Der Bildhauer braucht den Wiederstand, den hohen Anspruch an sein Können, die stete Mobilisierung seiner Kräfte. Mit Hilfe von Gipsmodellen kann die Ausführung in Holz punktgenau vorbereitet werden. Das Modellieren im weichen Ton ist mit den Erfordernissen eines realistischen Erscheinungsbildes und des genauen Porträts verbunden, wenn ein handwerklich überaus sauber bearbeiteter Bronzeguß benötigt wird. Bei kleineren Formaten bietet sich Plastilin als modellierfähiges Material anstelle von Gips oder Ton stets an.
Allen bildhauerischen Arbeiten Jakob Wedels ist die Tendenz zu einer moglichst perfekten, unabänderlich gültigen Ausführung gemeinsam. Aus der Einheit mit dem Entwurf resultiert die heute keineswegs selbstverständliche Authentizität von Idee und Vollendung. In der Geschlossenheit der körperlichen Form erweist sich die Tragfäigkeit des Klassischen als Prinzip des Einsseins von Seele uns Sinnen. Aus der Anmut von Bewegungen heraus ergeben sich die Möglichkeiten des Abstrahierens bis in die linearen Momente des Linearen. Die Voraussetzung bildet jeweils die Kenntnis des Volumens, in dessen differenzierenden Bewältigung sich Jakob Wedel als verlässlicher Meister erweist. So gelingen ihm die symbolhaften Wendungen ins Allgemeine ebenso wie die Schilderungen des Besonderen. Organisch bedingt bleiben grundsätzlich alle Formen Wedels.
"Das
Ornament nähert sich jede Darstellung, die Gültigkeit hat", konstatierte
Hans Wimmer in seiner zum ersten Mal 1961 erschienenen Schrift "über
die Bildhauerei". Kein Gegensatz zum Figürlichen sei damit gemeint,
"sondern im Gegenteil die höchste Steigerung des Figürlichen.
Das Ornament bedeutet in der Bildhauerei das Herausschälen des Gesetzes
der Figur und dasHerausstellen der in der Natur enthaltenen architektonichen
Elemente". Das Ornament sei die stärkste und nicht mehr zu steigernde
Charakterisierung einer Verbindung von Natur und Kunst - wie in der Antike das
Akanthusblatt in der Architektur des Kapitells. Wimmer berief sich auf eine
Feststellung Goethes: "Es ist ein Gewahrwerden der Menschlichen Form, mit
der die Natur gleichsam immer spielt". In der Absage an alles nur Zufällige
liege die Voraussetzung zur Bildung einer plastischen Konstellation.
In Jakob Wedels Werken früherer Jahre faszinieren uns die Vergegenwärtigungen
von Menschen und Tieren aus kirgisischen Erzählungen, Erinnerungen und
Beobachtungen ganz beredbarer Art. Wir erkennen darin Verwandschaften mit Myten,
Märchen und Legenden auch anderer und hiesiger Länder. Sänger
und Dichter des kirgisischen Volkes schufen und bestätigen eine Kultur
des Epos, aus der sich eine realistische Prosa zu entwickeln vermochte. In ihrem
Witz und ihrer derben Freude, in der eingängig schlüssigen Charakterisierung
aller triftigen Momente entsprechen Wedels Köstlichkeiten der Volksliteratur
und der mündlichen überlieferung, in welcher der junge Künstler
aufwuchs. Im Talas- und Tschu-Tal im nördlichen Kirgisien siedelten einst
die Deutschen, denen Jakob Wedel angehört. Im heutigen Kirgisstan bilden
sie nach Jahrzehnten einer oft erbarmunglosen Unterdrückung noch etwa ein
Prozent der auf knapp fünf Millionen bezifferten Gesamtbevölkerung.
Es schulte und schärfte sich Wedels Beobachtungsgabe an den Menschen und
Schicksalen, die ihm bereits in seiner Kindheit begegneten. Daraus wuchsen die
Kräfte der Gestaltung, die wir nun im Blick auf eine Auswahl seines Lebenswerkes zu bewundern vermögen.
Reinhard Müller-Mehlis